Akustischer Leckerbissen in der Schalterhalle des Zwickauer Hauptbahnhofs
„Dass hier nicht hunderte von Gästen vor Ort sein werden, war uns klar. Aber die Akustik der Schalterhalle… einfach traumhaft, gigantisch. Das haben sicher auch die vorbeieilenden Reisenden und verharrenden Gäste so erleben können“, zog Lukas Alois Roth Bilanz nach einem einstündigen Konzert des Dresdner Kammerchors ExSilentio in der Schalterhalle des Zwickauer Hauptbahnhofes. Roth ist Leiter des Ensembles, das aus Gesangsstudenten der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden besteht. Von 29-Jährigen stammt auch die Idee, eine Fahrrad-Konzert-Tour zu unternehmen:
„Der ExSilentio-Kammerchor arbeitet eng mit dem Verein ‚Kunstwert – Wir machen Kultur‘ zusammen. So ist irgendwie-wann das Projekt CHORWÄRTS entstanden, in dem aktives Bewegen, Kunst, Natur und Mensch miteinander harmonieren sollen. Und außer eins zwei Skeptikern waren alle begeistert, die sportliche Herausforderung einer Radtour und Gesang zu vereinen.“
Los ging das Projekt am 6. September mit einem Auftritt in der alten Fabrikhalle der Spinnerei in Mainleus. „Danach haben wir die knapp 140 Kilometer nach Zwickau natürlich nicht auf einen Ritt bewältigt, haben in Gefrees und an der Pöhl übernachtet“, gesteht Clara Bergert, die das Programm mit konzipiert hat. „Wir sind ja Rad-Touristen und keine Profis“, schiebt sie nach und Chor-Kollegin Emma wirft mit einem Lächeln ein: „Es war ganz schon hügelig. Da haben die Jungs das grüne Trikot unter sich ausgemacht.“ Rosa ergänzt: „Erwähnenswert ist, dass bis jetzt niemand über Muskelkater klagt. Vielleicht auch, weil Magnesium- und Zink-Präparate im Umlauf sind“, kann auch sie ein Lächeln nicht verkneifen. Denn tatsächlich kamen die zwölf Protagonisten (jede Stimmlage ist dreifach besetzt) etwa eine Stunde vor Konzertbeginn auf eigenem Rad an.
Außergewöhnlicher Veranstaltungsort mit hervorragender Akkustik. Foto: uhe
Das einstündige Konzert hatte eine absolute Besonderheit. Stücke von Mendelssohn, Brahms, Hensel, Schronen und Ticheli sowie eine Bearbeitung von Lukas Alois Roth erklangen inmitten eines ständigen Kommens und Gehens von Reisenden. Einige von ihnen ließen sich vom Gesang überhaupt nicht beeinflussen, gingen zielstrebig den Bahnsteigen oder dem Ausgang entgegen. Bei anderen gab es verwunderte Blicke, große Augen, gespitzte Ohren, kurzes oder längeres Innehalten. Sie empfanden es als einen auffälligen Höhepunkt an einem außergewöhnlichen Ort, als überraschenden Kick im Alltag des Zwickauer Bahnhofs. Zu ihnen gehörte unter anderen Valerie aus Zwickau, die bereits 25 Minuten vor Zugabfahrt vor Ort war:
„Gut, dass ich so zeitig bin. Ich hätte wirklich was verpasst. Einfach grandios!“
Anja aus Auerbach war gekommen, weil Sohn Arne im Chor mitsingt. „Mutig, in einer unbekannten Bahnhofshalle mit nicht vertrauter Akustik zu singen. Aber es war einfach Bombe!“ Anders Katrin aus Mülsen. „Ich hab´ nur zehn Minuten Zeit, würde so gerne bleiben, aber mein Bus fährt.“ Letztendlich waren doch alle zur Verfügung stehenden Sitzplätze und auch teils die Treppen mit Zuhörern besetzt.
Für Clara Bergert, die das Programm mit konzipiert hat, war es als ehemalige CWG-Schülerin praktisch ein Heimspiel. „Die Zuhörerzahl ist nicht primär, sondern das Projekt, zu ungewöhnlichen Orten selber aktiv unterwegs zu sein, um dann dort zu singen.“ Poetry-Slammerin Nadine Céline Tiryaki-Zeeb, ebenfalls per Rad dabei, fasste es so zusammen: „Sport, Natur, Gesang und Wort wecken in dieser aparten Mischung eine besondere Kreativität und einen intensiveren Zusammenhalt.“
Die Zuschauer waren von dem akkustischen "Aufenthalt" sehr angetan. Foto: uhe
Manche Stücke schienen genau wie für diesen Ort gemacht, weil die Stimmen erst wieder einsetzten, wenn der Hall im geräumigen Empfangssaal verklungen war. Mit einem Augenzwinkern gestand Roth: „Die Akustik der Schalterhalle war so grandios, da hab´ ich als Dirigent wo´s ging und damit wir´s alle genießen konnten, etwas verzögert.“
uhe
Übrigens:
Das Konzert des Dresdner Kammerchores ExSilentio am 8. September hätte auch als Geburtstagsständchen gelten können. Denn fast auf den Tag, am 18. September 1845, wurde der Zwickauer Bahnhof eröffnet, Zwickau mit Crimmitschau–Werdau der Bahnstrecke Leipzig–Hof angeschlossen.